Vor vier Wochen berichteten wir über die Abschaltung von sechs französischen Kernkraftwerken, deren Strom am Wochenende niemand brauchte (zum Artikel) Nicht einmal die 2,2 Cent pro Kilowattstunde, die die Betreiber der abgeschriebenen Kernkraftwerke zur Deckung ihrer Kosten benötigten, wollte jemand bezahlen. Auf LinkedIn hat dieser Beitrag zu enorm vielen Diskussionen geführt, die uns ermutigt haben, die wichtigsten Aussagen daraus aufzugreifen:
Wie passen Kernkraftwerke mit der Stromerzeugung aus Sonnen- und Windkraft zusammen?
Um das zu verstehen hilft, ein Blick auf die unterstehende Grafik aus dem Jahr 2010. Das war die Weihnachtswoche. Damals gab es noch sehr viel Grundlast, das heißt, die Stromerzeugung erfolgt dabei aus technischen und/oder finanziellen Gründen rund um die Uhr und das ganze Jahr über weitgehend konstant. Neben dem Strom aus Laufwasserkraftwerken (blau) und Biogasanlagen (grün) deckten rund 18 Gigawatt aus Atomkraftwerken (rot) und rund 16 Gigawatt aus Braunkohlekraftwerken (hellbraun) den größten Teil des damaligen Bedarfs ab.
Was heute gerne vergessen wird: Schon damals benötigte man flexible Gaskraftwerke, um den hohen Strombedarf tagsüber zu decken. Der Spitzenlaststrom kostete dann bis zu 60 Cent pro Kilowattstunde – das bescherte den Energieversorgern satte Gewinne! Doch in dieser Zeit nahm auch die Stromerzeugung aus Photovoltaik langsam zu, und auf einmal entstand da eine ungeliebte Konkurrenz. Zum Leidwesen der deutschen Solarindustrie wurde sie aber politisch massiv bekämpft. Doch die Energieversorger – und offenbar auch unsere Politiker – hatten die Rechnung ohne die kostengünstigen Solarmodule aus China gemacht. Wenige Jahre später war der Sonnenstrom in erheblichem Umfang da, und viele Stadtwerke wurden zum Sanierungsfall.
Merke: Ruhe Dich nicht auf Deinem Erfolg aus – die Konkurrenz schläft nie!
Zurück zu den vielen Verfechtern von Kernenergie und Grundlast: Sie wollen das Problem der hohen Fluktuation von Strom aus Wind und Sonne lösen, haben das aber nicht so richtig durchdacht. Zum besseren Verständnis, habe ich die Grafik aus dem Jahr 2010 mit der Stromerzeugung aus Wind zur Weihnachtszeit des Jahres 2023 ergänzt (blauer Pfeil). Wir hatten an diesen Tagen eine stürmische Westwind-Wetterlage, die rund 40 Gigawatt an Windstrom lieferte. Hätten wir noch die gleiche Grundlast wie damals (40 Gigawatt), dann wären zwischen 20 und 30 Gigawatt zu viel an Strom im Netz. Man sieht: Ohne Strom aus den Atom- und Braunkohle-Kraftwerken passen bei solchen Wetterlagen Erzeugung und Bedarf aktuell deutlich besser zusammen.
Merke: Je mehr Grundlastkraftwerke wie Atomkraftanlagen im Betrieb sind, desto mehr Strom muss in riesigen Mengen zwischengespeichert werden.
Allerdings gibt es auch im Winter lang anhaltende Hochdruck-Wetterlagen: Da scheint in großen Teilen Europas weder die Sonne noch weht der Wind. Und das kann schon mal zwei Wochen andauern. Um auch in diesen Zeiten Strom zu bekommen, sind flexibel betreibbare Gas-Kraftwerke unerlässlich – und künftig wesentlich mehr als heute, weil E-Fahrzeuge und Wärmepumpen den Strombedarf zunehmend erhöhen. Diese Gaskraftwerke müssen allerdings so schnell wie möglich auf grünen Wasserstoff umgestellt werden. Und dieser grüne Wasserstoff kommt dann per Pipeline aus Regionen mit viel Strom aus Sonne und Wind, der vor Ort nicht gebraucht wird.
Zum Glück verfolgt unsere Regierung jetzt diese Strategie, und hoffentlich wird sie auch mit der nötigen Geschwindigkeit umgesetzt.
Nur dann haben wir rund um die Uhr grünen Strom und die Abhängigkeit von russischem Erdgas verschwinden.
P.S. Noch eine letztes Wort zum Mythos des billigen Atomstromes: Das seit 10 Jahren unter Verantwortung des französischen Energiekonzern EDF im Bau befindliche Atomkraftwerk Hinkley Point C im britischen Cornwall entwickelt sich immer mehr zum finanziellen Desaster – die Details finden Sie hier.
Bild: Uta Weik