Kreuzfahrtschiffe – schwimmende Städte, die auf den Weltmeeren unterwegs sind und jährlich Millionen Menschen in ferne Länder bringen und unvergessliche Erlebnisse bescheren. Doch die Schattenseiten dieses Luxus sind längst bekannt: hoher Energieverbrauch, enorme CO₂-Emissionen und ein nicht unerheblicher ökologischer Fußabdruck. Angesichts wachsender Kritik und strengerer Umweltauflagen geht die Branche neue Wege.
Vermutlich hat sich ein Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) während seines Karibikurlaubs auf einem Kreuzfahrtschiff auch Gedanken dazu gemacht, und seine geballte Kompetenz zur Simulation von Bordstromversorgungen ins Rennen geworfen. Die Idee: Photovoltaik-Balkonsysteme, die Energie direkt dort erzeugen, wo sie gebraucht wird – in den Kabinen der Passagiere. Energieverbrauch in der Kabine? Das kann eigentlich nur von der Klimaanlage oder der Heizung kommen – zu viel frische oder heiße Meeresluft könnte den Komfort einschränken.
Die Wissenschaftler des DLR haben ein Konzept entwickelt, das Solarmodule auf den Balkonen von Kreuzfahrtschiffkabinen vorsieht. Ziel ist es, einen Teil der benötigten Energie aus Sonnenlicht zu gewinnen und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Erste Simulationen zeigen, dass auf einem Schiff der Helios-Klasse bis zu 3,8 Megawattstunden Strom pro Tag eingespart werden könnten – genug für die Versorgung mehrerer Decks.
Das Konzept basiert auf der Installation von zwei Solarmodulen pro Balkon: eines in der Glasfront des Balkons und eines in einem schrägen Winkel darunter. Mit einem Wirkungsgrad von 22 % können diese Module dazu beitragen, den Energiebedarf von 1655 Balkonkabinen deutlich zu senken. Die Einbindung in Gleichstromnetze sorgt für eine effiziente Verteilung der erzeugten Energie. Zusätzlich wird ein Batteriespeicher eingesetzt, um Lastspitzen zu puffern und auch in Notfällen Energie zur Verfügung zu stellen.
Die Vision ist technisch beeindruckend und pragmatisch zugleich. Die Entwickler haben aber auch an den Komfort der Passagiere gedacht: Die Solarmodule in der Glasfront sind so konzipiert, dass sie den Blick auf das Meer nicht beeinträchtigen. Schließlich steht der Genuss eines spektakulären Sonnenuntergangs über der Karibik für viele Urlauber ganz oben auf der Wunschliste.
Auf den ersten Blick scheinen die Photovoltaik-Balkone ein Gewinn für alle zu sein: Die Passagiere können ihren Urlaub mit einem Hauch von Umweltbewusstsein genießen, während die Reedereien ein grünes Image pflegen. Doch die Ergebnisse der Simulationen zeigen, dass die Solarmodule allein nicht einmal den Energiebedarf der Kabinen vollständig decken können. Besonders bei Fahrten in nördlichen Regionen, in denen die Sonne weniger intensiv scheint, bleibt die Abhängigkeit von den fossilen Energiequellen hoch.
Die Einsparung des Energiebedarfs der Kabinen ist immerhin eine symbolische Geste. Denn wenn wir ehrlich sind: Die größten Verbraucher an Bord eines Kreuzfahrtschiffes sind weder die Kabinenbeleuchtung noch die Kaffeemaschine in der Suite, sondern die Klimaanlagen, die gigantischen Küchen und Waschmaschinen und die riesigen Motoren, die das Schiff Tag und Nacht antreiben.
Und hier wird es interessant. Die Photovoltaik-Balkonsysteme sind unbestreitbar ein technologischer Fortschritt und ein Schritt in Richtung Nachhaltigkeit. Aber reichen sie aus, um die Kreuzfahrtindustrie wirklich „grün“ zu machen? Wohl kaum. Der durchschnittliche Tagesverbrauch eines Kreuzfahrtschiffs liegt bei mehr als eintausend Megawattstunden Energie für Antrieb und Bordstrom – die eingesparten 3,8 Megawattstunden wirken da wie der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen Stein.
Dennoch werden solche Projekte gerne als Beweis dafür angeführt, dass die Branche die Wende zur Nachhaltigkeit geschafft hat.
Dabei bleibt ein entscheidender Punkt unberücksichtigt: Kreuzfahrten selbst sind schwimmender Konsum im Überfluss. All-you-can-eat-Buffets, beheizte Pools und rund um die Uhr Entertainment – all das mag für die Passagiere reizvoll sein, steht aber im direkten Widerspruch zu nachhaltigem Reisen.
Das Konzept der Photovoltaik-Balkone ist also weniger eine Revolution als vielmehr ein grünes Feigenblatt, das die enormen ökologischen Kosten der Kreuzfahrt verschleiern soll. Die Botschaft ist klar: „Wir tun etwas für die Umwelt – also buchen Sie ruhig weiter!“
Für die Passagiere mag das ein beruhigendes Gefühl sein, doch die Realität bleibt ernüchternd. Solange die Motoren der Schiffe weiter Unmengen an Diesel verbrennen, bleibt die „grüne Kreuzfahrt“ ein Widerspruch in sich.
Titelbild: Petra Boeger, KI generiert
Danke, Petra Boeger, für diesen Beitrag!
Wolfram Klaar