Migration und Flucht – Begriffe, die in Europa mittlerweile täglich zu hören sind. Ob Talkshows, Zeitungsartikel oder hitzige Debatten am Stammtisch: Die Welt scheint auf der Flucht zu sein. Doch wie wäre es, das Bild ein wenig zu erweitern und den Blick nicht nur auf bewaffnete Konflikte und politische Unruhen zu richten? Es gibt einen weiteren Motor, der Fluchtbewegungen weltweit antreibt und den wir zu ignorieren pflegen: den Klimawandel.
Im Jahr 2023 wurden weltweit rund 26 Millionen Menschen durch extreme Wetterereignisse wie Dürren, Stürme und Überschwemmungen aus ihrer Heimat vertrieben.
Diese alarmierenden Zahlen machen deutlich, dass wir unseren Blick auf Fluchtursachen erweitern müssen. Nicht nur politische Konflikte zwingen Menschen zur Migration, auch der Klimawandel spielt eine immer größere Rolle. Unser übermäßiger Verbrauch fossiler Brennstoffe, die Abholzung von Wäldern und die ungebremste Industrialisierung, beschleunigen diese Entwicklung erheblich.
Man stelle sich vor, es regnet das ganze Jahr nicht. Die Felder vertrocknen, die Ernte fällt aus, der Wassermangel lässt die letzten Hoffnungen verkümmern. Das ist keine Fantasie, sondern bittere Realität für Millionen von Menschen weltweit, vor allem im globalen Süden. In Ländern, in denen die Landwirtschaft die Lebensgrundlage darstellt, ist die Dürre ein unaufhaltsamer Zerstörer, der nichts als Staub und Sand hinterlässt.
Was tun, wenn der Boden nichts mehr hergibt? Man zieht weiter – flieht, dorthin, wo es Wasser und Nahrung gibt.
Die Zahlen sprechen für sich: Laut Weltbank* könnten bis 2050 allein in Afrika südlich der Sahara, Südasien und Lateinamerika bis zu 143 Millionen Menschen aus klimabedingten Gründen zu Binnenflüchtlingen werden. Damit Sie eine Vorstellung davon bekommen, über wie viele Menschen wir hier reden – das ist ein Drittel der Bevölkerung der Europäischen Union oder ca. 2.900 vollgefüllte Fußballstadien.
Es sind Menschen, die innerhalb ihres Landes auf der Suche nach Lebensgrundlagen umherziehen – Wasser, Nahrung und ein sicheres Heim.
Nicht nur die Hitze zwingt die Menschen zur Flucht, auch das Wasser kennt keine Gnade. Steigende Meeresspiegel oder sintflutartige Regenfälle in immer kürzeren Abständen überschwemmen Küstenregionen und zerstören alles, was dort aufgebaut wurde. Doch wie oft kann man sein Zuhause wieder aufbauen, bevor man aufgeben und weiterziehen muss?
Auch wir in Europa bleiben nicht verschont. In einigen Ländern sind Überschwemmungen schon längst kein Sommerphänomen mehr. Denken wir an die Hochwasserkatastrophe im Ahrtal im Jahr 2021: Plötzlich waren auch die Deutschen in einer Situation, die für viele Menschen in fernen Weltregionen zum Alltag gehört. In Griechenland lodern regelmäßig Waldbrände, die ganze Landstriche verwüsten und Menschen dazu zwingen, ihr Zuhause fluchtartig zu verlassen. Besonders im Sommer 2023 waren die Brände extrem – die Hitze und Trockenheit verwandelten griechische Inseln in Flammenmeere, die nur schwer unter Kontrolle zu bringen waren. Spanien wird aktuell von verheerenden Überschwemmungen heimgesucht. Menschen, die mit Zuversicht in die Zukunft blickten, sehen sich nun mit dem Verlust ihres Zuhauses und einer zunehmend unsicheren Lebensgrundlage konfrontiert. Zwar ist Europa dank seiner wirtschaftlichen Ressourcen oft in der Lage, solche Schäden zu kompensieren. Aber was passiert, wenn sich solche Ereignisse häufen? Werden dann die ersten „europäischen Klimaflüchtlinge“ innerhalb des Kontinents Schutz suchen?
Tatsächlich haben wir das Pariser Abkommen mit seiner 1,5-Grad-Grenze bereits überschritten. Mit derzeit rund 1,7 Grad Erwärmung sieht es also nicht gut aus. Sollte die Erwärmung auf zwei oder gar drei Grad steigen, werden wir eine Welt erleben, in der klimabedingte Fluchtbewegungen zur Normalität gehören. Dürren, die früher Jahrzehnte auseinander lagen, könnten sich jedes Jahr wiederholen, Überschwemmungen zu einer wiederkehrenden Plage werden.
Bei zwei Grad Erwärmung wird sich die Sahara weiter ausbreiten, das Klima im Mittelmeerraum wird immer mehr dem in Nordafrika ähneln und Küstenstädte weltweit werden regelmäßig von Überschwemmungen heimgesucht.
Drei Grad bedeuten den Verlust von Korallenriffen, schwere Ernteausfälle in der Landwirtschaft, verschärfte Wasserknappheit und noch mehr Migration. Klimatisch stabilere Regionen wie Nordeuropa werden Menschen aufnehmen müssen, die vor den Extremen fliehen.
Klimaflüchtlinge sind kein Hirngespinst und keine Bedrohung – sie sind das Ergebnis von Missmanagement der Ressourcen, übermäßigem Verbrauch fossiler Brennstoffe und jahrzehntelangem Ignorieren der Warnsignale.
Vielleicht sollten wir uns also weniger darüber wundern, warum so viele Menschen zu uns kommen, und mehr darüber, warum wir so wenig tun, um die Ursachen dieser Flucht zu bekämpfen.
*Link Weltbank
Bild: Petra Boeger mit KI erstellt