Die Diskussionen zum Für und Wider von Wasserstoff werden intensiv und oft sehr emotional geführt, doch kaum jemand kennt die Hintergründe. Was liegt näher als einmal die Fakten in einem Kurzporträt zusammenzustellen:
Wasserstoff – Die Historie
Rund 70 Prozent des gesamten Universums bestehen aus Wasserstoff. Er führt die Liste aller chemischen Elemente an und ist damit die Nummer 1 im Periodensystem. Das Molekül Wasserstoff (H2) wurde 1766 vom englischen Chemiker Henry Cavendish entdeckt und 1783 für einen spektakulären Ballonflug in Paris erstmals in großen Mengen eingesetzt. Wasserstoff ist ein ungiftiges, farbloses Gas und hat den Vorteil, dass es sich beim Verbrennen an Luft nur in Wasser umwandelt – daher der Name „Hydrogen“, der Stoff aus dem Wasser entsteht.
Der industrielle Einsatz von Wasserstoff ist nichts Neues. Denn schon seit mehr als 100 Jahren wird er von der Industrie eingesetzt. Heute, im Jahr 2024 werden 95 Millionen Tonnen Wasserstoff verwendet, um unter anderem damit Kunstdünger herzustellen oder Kraftstoffe wie Benzin, Diesel oder Kerosin in Raffinerien zu veredeln.
Aktuell wird noch ein Großteil des Wasserstoffs aus Erdgas hergestellt.
Allerdings handelt es sich dabei um fossilen, also grauen Wasserstoff. In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, als Erdgas noch nicht überall verfügbar war, wurde Wasserstoff über die sogenannte „Elektrolyse“ aus Wasser hergestellt. Einige dieser internationalen Traditionsfirmen sind bis heute aktiv und bauen ihre Aktivitäten zur Elektrolyse massiv aus. Denn es gibt seit wenigen Jahren einen enormen Aufschwung bei der Wasserstoffherstellung über die Elektrolyse, insbesondere in China. Weltweit ist damit zu rechnen, dass die heute installierte Elektrolyse-Kapazität von inzwischen etwa 1 GW bis zum Jahr 2030 auf 300 GW steigen wird. Zum Erreichen der Klimaziele müsste man diese Zahl sogar verdoppeln.
Doch für welche Anwendungen – über die heutigen mit fossilem Wasserstoff erzeugten Produkte hinaus – wird der extrem ambitionierte Ausbau der Erzeugungskapazitäten überhaupt benötigt?
Es liegt vor allem an der Verpflichtung, unser komplettes Energiesystems zu dekarbonisieren. Diese weltweit gültige Aufgabe gilt als entscheidender Treiber für diese Entwicklung.
Beispiele für den Einsatz von Wasserstoff:
- Grüner Stahl, der statt mit Kohle mit Wasserstoff produziert wird.
- Die Umwandlung des bei der Zementherstellung entstehenden CO2 in grünes Methanol
- Die flexible Erzeugung von grünem Strom in Gaskraftwerken für die Zeiten, in denen weder die Sonne scheint noch der Wind weht
- Die Erzeugung von eFuel, inklusive der Sustainable Aviation Fuels (SAF) für die Luftfahrt, in sonnen- und windreichen Regionen unserer Erde
- Als Kraftstoff im Transportsektor – E-Antriebe mit Brennstoffzelle oder Wasserstoff-Motoren
Gibt es überhaupt so viel grünen Strom um diese Mengen an grünem Wasserstoff zu produzieren?
Dazu zwei Zahlen: Die heutigen Produktionskapazitäten für Photovoltaik-Module liegen bei rund 1.000 GW pro Jahr (aktuell nur zu 50 Prozent ausgelastet) und für Windturbinen bei 175 GW. Damit liegen die geplanten Produktionsmengen für Wasserstoff im Bereich des Möglichen. Aufgrund der Tatsache, dass immer häufiger der Strom aus Sonne und Wind direkt nicht genutzt werden kann, wird die Wasserstoffproduktion zu einem Muss. Das gilt umso mehr für sehr sonnen- und windreiche, aber menschenleere Regionen unserer Erde.
Wie wird Wasserstoff transportiert?
- Große Mengen an Wasserstoff werden über Gaspipelines vom Erzeuger zum Verbraucher transportiert. Das ist in der Chemieindustrie mit Hunderten von Pipeline-Kilometern seit vielen Jahrzehnten etablierte Praxis. Künftig wird das sehr umfangreiche Erdgas-Netz auf Wasserstoff umgestellt. Das ermöglicht eine ausgesprochen kostengünstige Verteilung von großen Mengen grüner Energie, die vor allem in den wind- und sonnenreichen Regionen in Form von Strom geerntet werden.
- Kleine Mengen an Wasserstoff werden als Druckgas gespeichert und können über Strecken von etwa 50 Kilometer kostengünstig per LKW zum Verbraucher transportiert werden.
- Verflüssigter Wasserstoff wird über größere Entfernungen und einen etwas höherem Wasserstoff-Bedarf ebenfalls per LKW zu den Verbrauchern transportiert.
Ist der Umgang mit Wasserstoff gefährlich?
Wasserstoff ist ein Brennstoff wie Erdgas, Flüssiggas (Propan/Butan), Benzin oder Diesel. Alle Brennstoffe beinhalten naturgemäß ein gewisses Sicherheitsrisiko, das durch einen sachgemäßen Umgang und professionell entwickelte Produkte (Tanks, Pumpen, Ventile…) jedoch erheblich minimiert wird. Durch seine sehr hohe Diffusionsgeschwindigkeit in Luft ist im Falle eines Unfalls Wasserstoff aber weit weniger gefährlich als beispielsweise Benzin oder Flüssiggas.
Welche Bedeutung hat Wasserstoff im Transportsektor:
Wasserstoff ist für alle Anwendungen mit hohem Energieverbrauch (große tägliche Fahrstrecken und schwere Fahrzeuge) und wenig Zeit für das Betanken / Laden des Fahrzeuges attraktiv. Das gilt gleichermaßen für Busse und LKW, aber auch für PKW, die besonders viel genutzt werden. Wasserstoff-Fahrzeuge sind deshalb genauso schnell betankt wie heute Benzin- oder Diesel-Fahrzeuge. Die Anzahl an Tankstellen, die für eine flächendeckende Versorgung benötigt würde, ist die gleiche, wie es sie schon heute für die fossilen Kraftstoffe gibt. Weiterer Vorteil: Brennstoffzellen-E-Antriebe haben im Vergleich zu Motoren einen hohen Wirkungsgrad, sind aber gleichzeitig auch sehr leise.
Ist der Wirkungsgradverlust der Wasserstoffherstellung ein Nachteil?
Die in Deutschland sehr verbreitete Diskussion zum Wirkungsgradvorteil von batterie-elektrischen Fahrzeugen ist sehr irreführend, da sie die für die reale Welt die so entscheidende, nämlich eine ganzheitliche Betrachtung, ignoriert. In diesen Betrachtungen wird immer davon ausgegangen, dass der für das Laden der Batterie erforderliche grüne Strom (aus Wind und Sonne) immer und in ausreichender Menge direkt verfügbar ist. Das hat aber nichts mit der Realität zu tun. Beispielsweise können Stadtbusse nur während der Nacht im Depot geladen werden: Da gibt es mit Sicherheit keinen Sonnenstrom, an vielen Tagen auch viel zu wenig Strom aus Windkraft.
In den Wintermonaten wird deshalb an vielen Tagen kein grüner Strom direkt zur Verfügung stehen, egal, wieviel Kapazität an Sonnen- und Windstrom installiert wurde.
Gleichzeitig wird es immer häufiger, temporär riesige Mengen an Überschussstrom aus Sonne und Wind geben, die nicht direkt genutzt werden können. Denn in Batterien lässt sich bekanntlich nur eine recht überschaubare Menge an Strom speichern. Anderseits gibt es aber weltweit viele Regionen mit Wüsten und menschenleeren Küsten, in denen ein Vielfaches des globalen Energiebedarfs aus Sonne und Wind geerntet werden könnte. Gerade weil dort der Strom vor Ort nicht benötigt wird, bleibt als Lösung nur die Umwandlung in Wasserstoff übrig, die mit vergleichsweise wenig Aufwand erfolgen kann, um dann in die energieverbrauchenden Regionen transportiert zu werden.
Ist Wasserstoff (zu) teuer?
Die Kosten von Wasserstoff hängen zu einem sehr großen Teil von den Stromkosten für den Betrieb der Elektrolyse ab. Bei überschüssigem Strom, den zu viel Wind und Sonne produziert haben, entstehen immer häufiger negative Strompreise. Wird dieser billige, grüne Strom für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt, dann sind damit auch günstige Wasserstoffpreise möglich.
In den besonders sonnenreichen Regionen wird heute schon Strom aus Photovoltaik für 1 (in Worten: einen) Cent pro kWh erzeugt. Damit lässt sich dann Wasserstoff sehr günstig erzeugen. Damit liegen die Stromkosten lediglich bei 50 Cent pro Kilogramm Wasserstoff. Die Kosten für den Elektrolyseur (Abschreibung) hängen primär von der produzierten Stückzahlen an Elektrolyseuren ab. Bei dem zu erwartenden riesigen Markt zeichnen sich in Zukunft sehr niedrige Kosten ab – wie bei Batterien oder Photovoltaikmodulen.
Wenn die heutigen Preise für grünen Wasserstoff sehr hoch erscheinen, so liegt das – wie bei jeder neuen Technologie – auch hier an ihrer noch frühen Industrialisierungsphase. Doch gibt es bereits zahlreiche politische Instrumente zur Unterstützung des Markthochlaufs der Wasserstofftechnologie.
Zusammenfassend: Ohne Wasserstoff als Brücke zwischen dem Ernten und dem Verbrauch von CO2-freier Energie wird es keine akzeptierte klimaneutrale Energieversorgung geben. Das künftige grüne Energiesystem wird letztlich keine höheren Energiekosten verursachen, sondern vielmehr die enormen Folgekosten des Klimawandels spürbar reduzieren.
Titelbild: Petra Boeger KI generiert
Sehr geehrter Herr Tillmetz,
Vielen Dank für Ihren ausführlichen Artikel über Wasserstoff. Sie bestätigen meine Meinung damit. Aktuell im Zuge der Diskussion über Überkapazitäten bei grünem Strom darf man die Speicherung in Wasserstoff nicht vernachlässigen. In dem Zuge spielt auch der Wirkungsgrad bei den Übergängen keine Rolle. Ich hoffe nur, das Thema setzt sich so auch durch. Im Übrigen hätten dann auch die arabischen Staaten ein neues Geschäftsmodell nach dem Erdöl.
Thomas Hoepfner