Ein Artikel in der neuen ZEIT erinnerte mich an das 75-jährige Jubiläum der Schallplatte („Diese Scheibe ist ein Hit“) . Bei langjährigen Plattensammlern (wie dem Schreiber dieser Zeilen, der selbst recht zielstrebig auf das gleiche „Jubiläum“ zusteuert) wird der gut recherchierte Text nostalgische, in jedem Fall aber positive Gefühle auslösen; umso mehr, wenn man selbst im Besitz der in der ZEIT abgebildeten Schallplatten ist oder es ‚mal war (Beatles, Velvet Underground, Mendelssohn Violinkonzert – okay, die Single „La Paloma“ mit Hans Albers gehört nicht dazu).
Erst im Laufe der späten Schallplattenjahre und noch vor Beginn der CD-Zeit (1982) nahm man allmählich den schlechten Ruf der Schallplatte wahr: Die nämlich besteht aus PVC (Polyvinylchlorid), also einem Kunststoff auf Erdöl- und Chlor-Basis. Fortan ließ man Teil 1 des Begriffs „Vinyl-Schallplatte“ lieber weg. Und auch heute, wo der Erwerb von ausgewählten Titeln als LP nicht nur schwierig und teuer, sondern bereits wieder Kult geworden ist, dürfte wohl vielen immer noch nicht klar sein: Die Herstellung dieses Kultobjekts „Schallplatte“ erfordert die Ausbeutung nicht-erneuerbarer Ressourcen vor allem in Niedrigpreisländern, den weltweiten Transport des Grundstoffs Rohöl, die Akzeptanz der gesundheitsschädlichen Dämpfe und der Abfälle bei der Verarbeitung und vor allem der Umweltschäden. Damit ist die Schallplatte – wenngleich mit vielfach kleinerem Anteil – in der gleichen Gesellschaft wie Autos, Handys, Heizungen oder viele Stromverbraucher.
Da hört man mit Erleichterung, dass mittlerweile die verbliebenen Presswerke daran arbeiten, ihre Produktion z.B. auf Ökostrom umzustellen oder zumindest einen CO2-Ausgleich zu akzeptieren. Sogar die Herstellung aus Recyclingmaterial macht bereits Fortschritte. Leider bleiben giftiges Vinylchlorid und ätzendes Chlor erhalten.
Doch für all diejenigen, die mit Musik auf Schallplatte aufgewachsen sind und denen sie gerade in den 60er und 70er Jahren zum prägenden Teil ihrer damaligen Zeit (und darüber hinaus) wurde, gibt es eine fast tröstliche Botschaft – selbst wenn sie der Meinung sind, mit ihrem Umstieg auf CD und heute auf Streamingdienste weniger „Umweltverschmutzung“ zu verursachen: Es mag damit zwar weniger Müll als mit ausgemusterten Platten anfallen, doch allen sollte klar sein, dass
Streaming grundsätzlich nicht umweltfreundlicher ist als physische Tonträger.
Anbieter wie Spotify, Apple oder Google mit ihren gigantischen Rechenzentren verbrauchen zum Übertragen von Musik (und noch viel aufwändiger von Filmen!) etwa gleich viel Strom wie ganz Deutschland für alle Anwendungen zusammen (mehr als 500 Terrawattstunden). Und dieser Strom wird weltweit zum größten Teil aus fossilen Kraftstoffen erzeugt. Zum Glück fangen die ersten Rechenzentren an, auf eine grüne Stromversorgung umzustellen.
Persönliche Anmerkung zum Schluss: Weil ich auf keinen Fall wollte, dass meine Schallplattensammlung später auf dem Wertstoffhof landet und damit weitere Umweltschäden anrichtet, habe ich sie – immerhin mehrere Tausend LP – nicht zuletzt auch aus Platzgründen gegen eine Kiste Wein eingetauscht. Meine ca. 200 Lieblings-Schallplatten habe ich allerdings behalten und höre sie auch hin und wieder an. Weil ich aber nach wie vor regelmäßig und sehr bewusst Musik höre und auch gerne Neues höre, muss ich abschließend zugeben, dass ich mittlerweile fast nur noch streame. Meine Leidenschaft für Musik hat sich also nicht verändert, doch meine diesbezügliche Ökobilanz wurde damit deutlich schlechter als sie es je bei meinen LPs war. Und leider hat auch der eingetauschte Wein nicht annähernd der Qualität entsprochen, die meine einstige Schallplattensammlung hatte…
Eigenes Foto an meiner „Plattenkiste“