Jede Stadt steht vor der gleichen Herausforderung, nämlich ihre Energieversorgung schnell auf regenerative Quellen umzustellen. Aufgrund ihrer geografischen Lage sind die Lösungen für jede Stadt unterschiedlich. Alle können Wind- und Sonnenkraft nutzen, um emissionsfrei und klimaneutral zu werden. Für eine weitestgehend unabhängige lokale Energieerzeugung braucht es aber noch weitere Bausteine. Wasserkraftwerke bieten sich in den Bergen oder an den Flüssen zur Stromerzeugung an. Manche Gemeinden haben große Waldbestände und nutzen die Reste aus der Waldpflege oder der Holzverarbeitung zum Heizen.
Doch gibt es hier in Lindau im Bodensee noch andere natürliche Energiequellen außer Wind und Sonne? Ja, wir kaufen Strom aus österreichischen Wasserkraftwerken. Aber was haben wir direkt vor Ort, also lokal bei uns in der Stadt oder auch im völlig unabhängig wirtschaftenden Landkreis Lindau? Wenn wir rund herum schauen, finden wir gar nichts. Keinen hohen Berg, keinen grossen Fluss und auch keine ausgedehnten Wälder. Ok, ein bissl Biomasse, die wir verwenden können. Aber sonst wirklich nichts?
Fragen wir uns doch nochmal genauer, was wir eigentlich suchen! Wir wollen in Zukunft mit klimaneutralem Strom heizen. Das heißt, wir wollen mit Wärmepumpen Energie aus der Umgebung zum Heizen nutzen.
Es gibt schöne Beispiele aus kalten Ländern wie z.B. Schweden. Dort wurde schon lange Zeit mit Strom geheizt. Mit sehr viel Strom. Nicht ohne Grund haben sich die Schweden schon früh für die Installation von Wärmepumpen entschieden, die sogar im Land hergestellt werden und nur noch 20 Prozent des bisherigen Stroms benötigen. Die restlichen 80 Prozent der Energie holen sie sich sehr effizient aus dem Wasser ihrer vielen Seen oder dem Meer.
Diese Idee funktioniert offensichtlich so gut, dass auch unsere Nachbarn in der Schweiz mittlerweile schon mehr als 46 Projekte an ihren Seen umgesetzt haben, um mit Seewärme zu heizen. Diese Anlagen eignen sich übrigens ohne großen Mehraufwand genau so gut auch zum Kühlen der Häuser im Sommer.
Sehen wir uns also nochmals um. Und siehe da: Der verborgene Schatz verbirgt sich direkt vor unserer Haustüre: es ist der riesige Bodensee. Häuser nahe des Seeufers können direkt darauf zugreifen. Andere Stadtviertel können – natürlich mit aktiver Unterstützung unserer Stadtwerke – durch Nahwärmenetze als Quartierslösungen an der Seewärme teilhaben.
Sofort kommt die Frage auf, ob wir unseren See denn gefrieren lassen wollen? Dies ist nicht der Fall. Die lokale Abkühlung an der Einspeisestelle liegt bei ungefähr 2 Grad Kelvin. Die Abkühlung aufgrund der Energie, die wir zum Heizen entziehen, ist angesichts der gigantischen Wassermenge des Bodensees praktisch nicht messbar, selbst wenn alle Gemeinden am Seeufer mitmachen würden. Es wäre im Gegenteil sogar wünschenswert, wenn der See wieder etwas kühler würde. Wir erinnern uns mit Schrecken an die vergangenen heißen Sommer, als sich die Wasseroberfläche auf über 27 °C aufgeheizt hat. Tonnenweise mussten tote Fische aus dem Bodensee geholt werden, die durch die viel zu hohe Wassertemperatur zu wenig Sauerstoff bekamen und elend erstickt sind. Eine Seewärmenutzung wirkt somit den Folgen des Klimawandels sogar entgegen.
Unsere Stadtwerke Lindau haben deshalb schon 2021 Gespräche mit den Kollegen aus der Schweiz aufgenommen, um von ihren Erfahrungen zu lernen. Auch in Bregenz werden schon erste Seewärme-Projekte gestartet.
Es gibt hier in Lindau noch sehr viel zu tun, eine lokale klimaneutrale Energieversorgung aufzubauen und z.B. für die Bürger und Unternehmen auch überschüssige Wind- und Sonnenkraft für den Winter mittels Wasserstoff zu speichern.
Augen zu und durch klappt hier nicht mehr!
Im Jahr 2035 wollen wir klimaneutral sein. Und das bitte zu erschwinglichen Preisen für alle… Die Hoffnung auf doppelt soviel österreichischen Strom zu heutigen Preisen ist leider zu optimistisch. Der Preis am Strommarkt wird unkontrolliert und uferlos steigen. Schließlich brauchen auch unsere Nachbarn in Zukunft selbst viel mehr Strom als heute. Womit wollen wir dann unsere Wärmepumpen überhaupt preiswert laufen lassen und unsere Elektrofahrzeuge aufladen, wenn selbst eine sehr große eigene Haussolaranlage z.B. an kalten Wintertagen nicht genug Strom erzeugen kann?
In Lindau könnten wir noch selbst den Aufbau unserer umweltfreundlichen lokalen Energieversorgung gestalten. Genau mit dem, was wir hier vor Ort haben. Und damit können wir unsere Kosten auch langfristig niedrig halten und unsere Versorgungssicherheit in die eigene Hand nehmen.
Unser Dank gilt den Verantwortlichen unserer Stadt Lindau und des Landkreises, dass sie die lokale Energiewende jetzt mit aller Kraft zusammen angehen werden…
Titelbild: privat
Den Bodensee als Wärmequelle zu nutzen ist prinzipiell kein Problem. Der Teufel steckt im Detail. Eine solcher Wärmepumpenanlage muss behandelt werden wie eine Wasser/Wasser-WP-Anlage. Gut, Saug- und Schluckbrunnen entfallen, aber das Wasser muss bevor es in den WT gelangt gefiltert werden. Nur ein Rechenbeispiel: Bei einer Wärmeentzugsleistung von 100 kW und einer Abkühlung von 4 K sind das 21 m³ pro Stunde. Kleine Wassertiere und Muscheln können hier für einigen Ärger sorgen. Tatsache ist, dass das Aquamarin in Wasserburg von Wärmepumpenheizung mit Bodenseewasser auf Holzhackschnitzelheizung umgestellt wurde. Dann bedarf es geeignete Projekte welche in Seennähe beheizt werden könnten. Nur gut gedämmte Gebäude mit Flächenheizung sind für den WP-Betrieb geeignet. Gebäude mit Radiatoren-Heizung auf niedrigem Niveau (55/45) nur bedingt. Dennoch, es wäre interessant zu erfahren, wie das ganze in Lindau gehandhabt werden könnte. Dazu bedarf es aber eines Energienutzungsplanes, der die entspr. geeigneten Objekte klassifiziert. Wird denn für Lindau ein solcher Plan erstellt?
die Schweizer können das. Und auch die Berliner:
https://www.handelsblatt.com/unternehmen/innovationweek/energieversorgung-so-wird-das-stadtviertel-klimaneutral-drei-richtungsweisende-projekte/28403856.html
Die Stadtwerke haben sicherlich einen guten Überblick über den Wärmebedarf. Das sind beispielsweise die großen Gasverbraucher, die sich extrem schnell einen Ersatz für das russische Erdgas suchen sollten.
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